FEELING LONDON
Versuch einer Erklärung, warum die Dinge manchmal so laufen wie sie laufen ...
Verlegt man seinen Wohnsitz auf die britische Insel mit dem Vorhaben, dort die nächsten zehn Jahre seines Lebens, oder so, verbringen zu wollen, so durchläuft man zwangsläufig drei Phasen: 1) Grenzenlose Euphorie: «Super, die sprechen hier ja alle englisch», gefolgt von 2) grenzenloser Ernüchterung: «Die Wasserjahresabrechnung richtet sich nicht nach dem tatsächlichen Verbrauch, sondern nach dem Wert des jeweiligen Wohngebietes; außerdem essen die hier nur Cheddar und Kartoffelchips» – was in Kombination zwangsläufig in Phase 3) mündet: «Irgendwie ist das hier alles doch ziemlich interessant» – wie auch dieser Untergrund-Reisende euphorisch feststellt:
Auf das Wesentliche reduziert: Schlägt man ein hippes britisches Modemagazin auf und findet darin keine Bildstrecke mit Models, denen Rasierklingen in der Backe stecken und denen das Blut nicht auf die Schuhspitzen tröpfelt, so kann man ziemlich sicher sein, daß der verantwortliche Art-Direktor für diese unentschuldbare Unterlassungssünde kurz nach Auslieferung des Heftes art- und britengerecht gefeuert wurde.
Das färbt auf die Dauer natürlich ab. Entweder bewußt oder unterbewußt. Und deshalb bekommt man zunächst vom «Stern» den Auftrag, sich für die nächsten sechs Wochen mit dem Thema «Sargdesign und Bestattungskultur» zu befassen und hierfür quer durch Europa zu reisen. Auch nach Genua, auf dessen Friedhof u.a. jene Bilder entstaden, die ebenfalls in die spätere Printkampagne des fiktiven Beerdigungsinstitutes «Mr. Sandman's Finest Funerals» Eingang fanden:
Danach wird man von einem bekannten Kurator gebeten, sich anläßlich der «Deutschen Fototage» in Frankfurt an einer Ausstellung mit einer Arbeit zu beteiligen, in der entweder eine Damenstrumpfhose, eine Jeans oder ein Mobilfunkgerät eine tragende Rolle spielt. Bis zur «Hommage à Edgar Allan Poe mit dem Titel: Lebendig begraben? – Mobilfunk müßte man haben!» ist der Weg nun wirklich nicht mehr soo weit:
Schließlich hält man noch einen mehrtägigen Foto-Workshop für anspruchsvolle Freizeitfotografen in den österreichischen Alpen ab und erarbeitet während der Nachwehen für einen seiner Kursteilnehmer, weil dieser sich als Eigentümer eines florierenden Post-Produktionshauses den langgehegten Wunsch, mit einem eigenen Spot im Rahmen des «Internationalen Werbefestivals» in Cannes nachhaltig zu reüssieren, erfüllen möchte, das Drehbuch zu «Mr. Sandman's Finest Funerals – Der Werbefilm».
Das gute und fertige Stückchen zur formvollendeten Huldigung der Teilnahmebedingungen vor Einreichung mindestens einmal zur Ausstrahlung gebracht zu haben, war übrigens mit Abstand der härteste Teil der Prüfung. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Später wurde der Spot in der Sendung «Frontal» auf «Channel 4» prominent gefeatured. Hier eine Sequenz aus meinem damaligen Showreel, der diesen Ausschnitt beinhaltet.
So entstanden während meiner ‹London Decade› immer mal wieder Produkte, deren tatsächliche Realisierung den vorstehend geschilderten oder ähnlichen Umständen geschuldet sind.
Beispielsweise auch ein Road-Safety-Spot mit dem Titel «Why aren't you still alive?», der den tragischen Unfalltod Lady Diana Spencers thematisiert, und den Sie ebenfalls in der Abteilung «Feeling London» einsehen können. Auch dieser wurde auf der britischen Insel nur ein einziges Mal ausgestrahlt – und danach rockte, tanzte oder «punkte» im Vereinigten Königreich bezogen auch auf dieses Werk der Bär.
So sei es letztlich den beiden Sendern VIVA und VIVA II nachdrücklich gedankt, daß sie diesen Spot mehrere hundert Male kostenfrei ausgestrahlt haben – immer schön des Nachts inmitten dieser herrlichen Ruf-mich-an-Werbeblöcke. Und: Sogar einmal zur Primetime während eines Kurzberichtes über die Formel 1. Großes Kino!
«W&V» und «Horizont» veröffentlichte ihn jeweils in ihre Rubrik «Top-Kreation aus aller Welt» bzw. «Galeria | Highlights»:
Das Fachmagazin «PROFIFOTO» publizierte 1998 meinen Besinnungsaufsatz zu den Geschehnissen rund um Dianas Unfalltod. Wenn ich alle Zutaten zusammen habe, dann wird er ebenfalls Bestandteil der «Feeling London»-Rubrik sein.
* * *
Finally, you should not miss reading «Mind The Gap» in order to find out how one feels working as a little bit mentally misdirected creative director in London. And do not forget: even as an advertiser you need to like it bloody well right, right?
* * *